Was sind Förderkreise?

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Warum gibt es Förderkreise (FK)?

Die sieben deutschen Förderkreise setzen sich für weltweite Solidarität und soziale Gerechtigkeit ein. Sie leisten entwicklungspolitische Bildungsarbeit und bieten die Möglichkeit, sich ehrenamtlich zu engagieren.

Mikrofinanz in den Philippinen: Was wirkt wie? Annäherung an ein umstrittenes Thema

Mikrofinanz in den Philippinen: Was wirkt wie? Annäherung an ein umstrittenes Thema

Text_Helmut.png05.07.2017

Einmal im Jahr bietet Oikocredit die Gelegenheit, vor Ort Einblick in die Arbeit der Partnerorganisationen zu bekommen und mit vielen Beteiligten ins Gespräch zu kommen. Im Januar 2017 führte die Studienreise in die Philippinen. 16 Mitarbeitende und Anleger*innen haben im Laufe einer Woche in drei Gruppen sechs Partner besucht. Oikocredit arbeitet in den Philippinen mit 34 Partnerorganisationen im inklusiven Finanzwesen zusammen, insgesamt waren Ende 2016 Kredite im Wert von circa 17 Millionen EUR ausgezahlt. Für uns Teilnehmer*innen stand folglich der Umgang mit Kleinkrediten im Zentrum der Reise, wir haben beobachtet, nachgefragt und diskutiert.

Die öffentliche und auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Wirkungsweise von Mikrokrediten und anderen Angeboten des inklusiven Finanzwesens wie Mikro-Versicherungen oder Sparmöglichkeiten haben seit der Verleihung des Friedensnobelpreises an Muhammad Yunus 2006, aber auch seit den Krisen in mehreren Regionen (Pakistan, Nicaragua 2009; Andra Pradesh 2010) zu ganz unterschiedlichen Positionen geführt. Eine einheitliche Bewertung scheint nicht in Sicht.

Die Sprache der Zahlen

Auf der einen Seite spricht die rasante Entwicklung dieses Geschäftsmodells in den meisten Ländern des globalen Südens eine deutlich positive Sprache: Nach Angaben der Microcredit Summit Campaign, eines Zusammenschlusses von weltweit über 1.000 Akteuren im Bereich der Mikrofi nanz, stieg die Anzahl der Haushalte unter der Armutsgrenze, die Mikrokredite nutzen, von 7,6 Mio. 1997 auf 137,5 Mio. 2010.¹ Auch in den Verhandlungen zu den Nachhaltigkeitszielen der UN (SDGs) wurde der Zugang zu inklusiven Finanzdienstleistungen explizit als eines der Unterziele von Ziel 1 „Armut in allen ihren Formen und überall auf der Welt beenden“ aufgenommen. Das Argument der Befürworter ist nicht leicht von der Hand zu weisen: Der rein zahlenmäßige Erfolg zeige, dass inklusive Finanzdienstleistungen den Menschen nutzten, sonst wäre eine derart große Akzeptanz nicht zu erklären.

Aber auch die Kritiker auf der anderen Seite operieren mit Zahlen: Ihr wichtigstes Argument ist die Höhe der Zinsen, die Kund*innen von Mikrokrediten zahlen; weltweit liegen sie bei durchschnittlich 30 bis 35 Prozent im Jahr; auch höhere Zinsen sind keine Seltenheit.² Selbst wenn man kostentreibende Effekte wie Inflation und höhere prozentuale Verwaltungskosten berücksichtigt, bleiben in der wissenschaftlichen Debatte doch Fragen offen, die nicht leichtfertig abgetan werden können: Wie wirksam sind Mikrokredite für die Verbesserung der Lebensumstände der betroffenen Menschen wirklich? Und: Wie wirken sich die überwiegend als Gruppenkredite vergebenen Mikrokredite auf die soziale Entwicklung von dörflichen Gemeinschaften und Nachbarschaften aus? Die erste Frage erhält besonderes Gewicht dadurch, dass Mikrokredite überwiegend Kleinstunternehmen im informellen Bereich von Wirtschaft und Handel oder bei einfachen Dienstleistungen finanzieren und allein dadurch nur begrenzte Entwicklungsmöglichkeiten bieten.  Die zweite Frage zielt darauf, genau zu prüfen, ob durch Mikrofinanz Gemeinschaft gefördert und belebt wird, oder ob Konkurrenz und Druck wachsen.

Der Blick in die Praxis lohnt

Die Debatte wird teils heftig, emotional geführt. Der Blick ins regionale, landesspezifische Detail kann zu Versachlichung und Präzision beitragen. Er lohnt, weil er Fragestellungen aus der Praxis und die unterschiedlichen Kontexte mit einbezieht. Dadurch allein kann die Frage, ob Mikrokredite denn nun Wunderwaffe oder Teufelszeug sind, sicherlich nicht entschieden werden. Aber es entsteht im besten Fall ein tieferes Verständnis für die Chancen, Herausforderungen und Risiken, die hinter den Zahlen und ihren theoretischen Deutungen oftmals verborgen bleiben.

Die Negros Women for Tomorrow Foundation (NWTF), die unsere Gruppe während der Studienreise für zwei Tage besuchte, wurde 1986 von Dr. Cecilia del Castillo, Suzzette Gaston und Corazon Henares gegründet. Ziel war ursprünglich, ein karitatives Schulspeisungsprogramm auf Bacolod auf der Insel Negros einzurichten. Daraus entwickelte sich ein Sozialunternehmen mit heute über 2.000 Mitarbeiter*innen und mehr als 300.000 Kundinnen. Die Stiftung hat mehr als 100 Niederlassungen auf den Visayas, dem mittleren Landesteil der Philippinen, 2017 sollen weitere zwölf Niederlassungen eröffnet werden.
Über 60 Prozent der Kredite, die NWTF vergibt, werden als „klassische“ Mikrokredite an Gruppen von jeweils fünf Frauen vergeben. Das Programm heißt „Dungganon“, was übersetzt soviel bedeutet wie „Ich bin ehrenhaft“.

Das Dungganon-Programm

Keinen Zweifel lässt Cecilia del Castillo in dem ersten Gespräch mit unserer Gruppe an der sozialen Ausrichtung des Unternehmens, die im Vordergrund steht: „Wir haben gesehen, dass unser Schulspeisungsprogramm zwar den Schulkindern hilft, die Mütter mit den Geschwisterkindern aber hungrig vor der Schule gewartet haben. Da wollten wir ein Programm mit mehr Nachhaltigkeit und einer größeren Reichweite entwickeln“. Die Ziele der Stiftung illustrieren das: 80 Prozent der Kundinnen sollen aus der Bevölkerungsschicht kommen, die unterhalb der Armutsgrenze lebt; bei der Hälfte der Kundinnen soll eine Aufwärtsentwicklung nach drei Jahren sichtbar werden; 30 Prozent der Kundinnen sollten die Armutsgrenze nach fünf Jahren überschritten haben – so die Selbstverpflichtung der Stiftung.

Das Dungganon-Programm dient dabei erklärtermaßen als wesentlicher Motor für Veränderungen hin zu lebendigen Kommunen und Nachbarschaften. In wöchentlichen Treffen von jeweils etwa zehn bis 20 Kreditgruppen aus einer Nachbarschaft werden die Kreditvergabe und die Rückzahlungen der jeweiligen Raten organisiert. Bei diesen Zusammenkünften geht es nicht nur ums Finanzielle, es geht auch darum, sich Wissen anzueignen, Informationen zu bekommen und Probleme des Alltags zu erörtern. So entsteht ein halb öffentlicher Raum, den die beteiligten Frauen selbst geschaffen haben, den sie unterhalten und jenseits der üblichen patriarchal geprägten Strukturen nutzten können.

Besonderes Augenmerk legt NWTF auf die verantwortliche Auswahl und Beratung der Kundinnen. Zu diesem Zweck hat die Stiftung 2009 ein Programm mit dem Namen „IGSS“ entwickelt, „Income Generating Survival Skills“ (etwa: „Zum (Über-)leben notwendige Fähigkeiten, die Einkommen generieren“). Shiela Guanzon und Gilbert Maramba stellen uns das Programm vor, das Frauen dazu ermutigen soll nachzudenken, welche Ziele und Träume sie verwirklichen wollen und was sie dafür haben und brauchen. Gemeinsam mit einer Mitarbeiterin von NWTF analysieren sie ihre finanzielle Situation, ihre beruflichen Fähigkeiten und externe Marktbedingungen. Wichtigstes Ziel von NWTF sei es, so Guanzon, „dass die mit dem Kredit finanzierte Tätigkeit dauerhaft ein Einkommen für die Familie generiert und nicht umgekehrt der Kredit aus dem Familieneinkommen finanziert werden muss“. Nach der Einführung des IGSS-Programm hat sich die Zahl der Neukundinnen mehr als verdreifacht. Aus Sicht von Shiela Guanzon ein klares Zeichen für den Erfolg des Programms.

„Kredite nur für das Geschäft“

Die Arbeit von NWTF erschöpft sich nicht darin, Mikrokredite anzubieten. Gilbert Maramba erläutert unserer Gruppe das umfangreiche Sozialprogramm, das aus den Erträgen der Stiftung finanziert wird: Stipendien für die Ausbildung der Kinder, eine Sterbeversicherung und die Förderung von gemeinschaftsbildenden Aktivitäten (wie Sportprogramme). Zentraler Bestandteil sind darüber hinaus Leistungen aus einer Krankenversicherung für die Kundinnen und deren Familien, die NWTF für alle Kundinnen abschließt. In jeder Niederlassung von NWTF werden zweimal im Jahr Arzttermine angeboten, allein 2016 hat die Stiftung so über 70.000 Arztbesuche finanziert. Diese sonst im ländlichen Raum der Philippinen kaum mögliche Absicherung ist auch für Dungganon-Mitglied Teresa Tomaro ein wesentliches Argument, weiter Kundin zu bleiben, obwohl sie es aus finanziellen Gründen eigentlich nicht mehr nötig hätte. Sie ist seit 2004 Kundin bei NWTF und kann eine erstaunliche Erfolgsgeschichte erzählen: Mit den Erlösen aus ihrem Sari-Sari-Shop, der ihr Dorf mit notwendigen Alltagsgütern versorgt, hat sie ihrer Familie nicht nur ein verlässliches Einkommen verschafft, sondern mittlerweile auch Land zum Anbau von Zuckerrohr gekauft und einen gebrauchten LKW, mit dem ihr Mann Zuckerrohr zu den regionalen Mühlen transportiert. Im Gespräch mit ihr wird aber auch deutlich, wie wichtig es ist, dass Mikrokredite sorgfältig eingesetzt werden. Ihr geschäftliches Credo: „Kredite dürfen nur für das Geschäft aufgenommen werden“, sonst drohe Überschuldung.

Wertschöpfung in die Dörfer bringen

Was sind die wesentlichen Aufgaben der Stiftung in der Zukunft? Darüber haben wir zum Abschluss unseres Besuchs mit Cecilia del Castillo, Suzzette Gaston, Corazon Henares und den anderen Mitgliedern der Geschäftsführung von NWTF diskutiert. Den Folgen des Klimawandels zu begegnen, stellt die Philippinen insgesamt und die Arbeit von NWTF vor große Herausforderungen. Gerade die ländliche Bevölkerung ist von den Sturmschäden durch die vielen Taifune immer wieder in ihrer Existenz bedroht. Aber auch die positive wirtschaftliche Entwicklung der Philippinen wirkt sich auf dem Land negativ aus: „Die Menschen wandern ab in die Städte, wo neue Arbeitsplätze entstehen, der Landwirtschaft fehlen Arbeitskräfte“, sagt Gilbert Maramba. Aber vor allem anderen treibt die NWTF Manager*innen die Frage um, wie es mit den Mitteln einer Mikrofinanzorganisation gelingen kann, den Kampf gegen die Armut erfolgreicher zu machen und den dörflichen Gemeinschaften und Nachbarschaften zu mehr Wirtschaftskraft zu verhelfen. „Es ist unsere Aufgabe, mehr Wertschöpfung bei der Produktion landwirtschaftlicher Güter in die Dörfer zu bringen, die kommunalen Strukturen zu fördern und zu stärken“, sagt Cecilia del Castillo.

Ein solch kurzer Besuch wie unserer, zumal mit nur eingeschränkten Möglichkeiten zu unabhängiger Recherche, lässt keine allgemeinen Aussagen darüber zu, wie sich Mikrokredite auf die Entwicklung sozialer Strukturen auswirken. Doch sind in den vielen Gesprächen einige grundlegende Strukturen deutlich geworden, die für die Einschätzung von Debattenbeiträgen sinnvoll sein können:

Der individualistische Ansatz, der viele Maßnahmen im inklusiven Finanzwesen prägt, kann nur so gut oder schlecht funktionieren, wie übergeordnete politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen es zulassen. Das gilt sowohl für nationale Fragen nach gerechter Teilhabe, wie für einen fairen Umgang im internationalen Handel zwischen Ländern mit hohem und niedrigen Pro-Kopf-Einkommen. Es bleibt die Hoffnung, dass es den Menschen vor Ort gelingt, auf mittlere oder lange Sicht mehr Gerechtigkeit durchzusetzen.

Wirtschaftliche Strukturen im „Mittelstand“ fördern

Die Dienstleistungen von Mikrofinanzinstitutionen bieten oftmals verlässliche Angebote in Regionen, in denen es sonst keinerlei alternative Angebote wie Krankenversicherungen gibt. Organisationen wie NWTF, die finanzielle und soziale Aspekte in der Arbeit miteinander verknüpfen, können schon allein deswegen eine positive, soziale Wirkung entfalten.

Wo Mikrokredite eingesetzt werden ist – wie bei allen kreditfinanzierten Tätigkeiten weltweit – die Gefahr der Überschuldung nicht auszuschließen. Darum sind Entwicklung, Anwendung und fortwährende Verbesserung von Kundenschutzmechanismen (wie sie Oikocredit von seinen Partnern fordert und fördert) gerade in diesem Bereich essentiell. Nur so können Fehlentwicklungen vermieden werden, die in der Vergangenheit immer wieder persönliche Katastrophen ausgelöst haben.

Die vielleicht wichtigste Aufgabe ist es, wirtschaftliche Strukturen im „Mittelstand“ in den Ländern des globalen Südens zu fördern. Ein fester Job ist oftmals eine sicherere Alternative zur durch Mikrokredite finanzierten Selbständigkeit. Diese Aufgabe wird weithin gesehen, Organisationen wie NWTF suchen Wege in diese Richtung. Auch Oikocredit ist seit langem in diesem Bereich aktiv. „Unter den erfolgreichsten Kunden unserer Mikrofinanzpartner gibt es viele, die wachsen und ihr Geschäft ausbauen. Mit dem Wachstum der Endkunden unserer Partner wächst auch der Bedarf nach Finanzierung für diese Unternehmen. Daher suchen wir gezielt nach Möglichkeiten, Finanzinstitutionen zu unterstützen, die sich für die Finanzierung von kleinen und mittleren Unternehmen engagieren“, sagt Bart van Eyk, Direktor für Beteiligungen bei Oikocredit im Gespräch. Zum 31. Dezember 2016 waren etwa 100 Millionen Euro des Kapitals von Oikocredit in der Finanzierung von kleinen und mittelständigen Unternehmen investiert. Im weltweiten Kontext ist das nicht viel Geld, aber es ist ein Anfang und soll in Zukunft mehr werden.

Helmut Pojunke

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