Was sind Förderkreise?

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Warum gibt es Förderkreise (FK)?

Die sieben deutschen Förderkreise setzen sich für weltweite Solidarität und soziale Gerechtigkeit ein. Sie leisten entwicklungspolitische Bildungsarbeit und bieten die Möglichkeit, sich ehrenamtlich zu engagieren.

Vom Weltladen ins Supermarktregal

Vom Weltladen ins Supermarktregal

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TransFair Vorstandsmitglied Claudia Brück

19.12.2019

1,62 Milliarden Euro wurden 2018 in Deutschland mit fairtradezertifizierten Produkten umgesetzt. Ein Rekordumsatz. 22 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Ist das ein Erfolg, wenn man bedenkt, wie klein der faire Handel angefangen hat, oder ein Tropfen im Ozean – wenn man bedenkt, dass es nur 19 Euro pro Verbraucher*in sind und dass viele Kleinbäuer*innen und Lohnarbeiter*innen nach wie vor nicht auf ihre Kosten kommen? Ein Gespräch mit Claudia Brück, Vorstandsmitglied bei TransFair e.V. Deutschland, der Fairtrade-Organisation des internationalen Siegels in Deutschland. Interview: Marion Wedegärtner

Ich war dabei. 1970 in Bielefeld. Wir Schüler*innen,  ließen uns von Eltern und Großeltern D-Mark pro gelaufenen Kilometer geben und zogen mit Transparenten gegen den ungerechten Welthandel durch die Stadt. Die sogenannten Hungermärsche, die vor allem kirchliche Jugendorganisationen 1970 in 70 bundesdeutschen Städten organisierten, markieren die sichtbaren Anfänge des fairen Handels in Deutschland.

Claudia Brück: Ja. Der faire Handel feiert sein 50-jähriges Bestehen. Die Hungermärsche verstanden sich als Protest gegen die offizielle Entwicklungspolitik, stellten die Frage danach, woher der Wohlstand der Bundesrepublik  kam und wie es um die Lebensbedingungen der Menschen am Anfang der Lieferkette bestellt war. Die daraus entstandene „Aktion Dritte Welt Handel“ wollte zeigen: Man kann anders handeln. Das hatte die Bewegung in den Niederlanden schon vorgemacht, am Beispiel Rohrzucker. Im vergangenen Jahr hatten wir eine Fachtagung in Köln. Peter van Dam, einer unserer Referenten, der zur Geschichte des fairen Handels in den Niederlanden und Deutschland forscht, hatte eins der 50 Jahre alten Tütchen mit Rohrzucker dabei. Fair handeln ging immer einher mit lernen: Das Tütchen war vollgetextet mit Informationen. Aus dieser Tradition kommen wir.

In den siebziger Jahren gründeten kirchliche Entwicklungs- und Jugendorganisationen die GEPA, heute das größte europäische Fair-Handelsunternehmen. Weitere Importorganisationen, die in direktem Kontakt die Produzentengruppen unterstützten und berieten, sollten Marktzugang und Warenvertrieb erleichtern. Aktionsgruppen verkauften fair gehandelten Kaffee und Kunsthandwerk bei Veranstaltungen. Die Zahl der Weltläden stieg.* Die Grundidee war, den Welthandel zu verändern. Das hat nicht so recht geklappt, oder?

Claudia Brück: In den späten 1980er Jahren stagnierte die Bewegung. Die Erkenntnis, dass sie nicht in der Lage war, alternative Strukturen zu schaffen, führte zu dem  Paradigmenwechsel: Dann müssen wir eben in die vorhandenen Strukturen gehen, wenn wir benachteiligten Produzent*innen einen Marktzugang verschaffen wollen. Der rasante  Absturz des Kaffeepreises 1989 trug entscheidend dazu bei; die Produzent*innen, mit denen man in Kontakt war, suchten händeringend nach Absatzmöglichkeiten. Die politische Diskussion darum, ob und in welchem Ausmaß der Weg in die Supermarktregale der richtige war und ist, prägt uns bis heute.

Ihre Organisation TransFair, heute besser bekannt unter Fairtrade Deutschland, steht für diesen Schritt raus aus den Weltläden in den konventionellen Handel.

Claudia Brück: Die Gründung von TransFair war der logische Schritt aus der Debatte: Wenn die Vermarktung auf „klassische“ Kanäle ausgeweitet werden sollte, mussten fair  gehandelte Produkte gekennzeichnet werden, damit sie für die Konsument*innen unterscheidbar waren. 1992 gründete sich unser Verein TransFair, der das heutige Fairtrade-Siegel für fair gehandelte Produkte vergibt. Zusammen mit anderen nationalen Schwesterorganisationen arbeiten wir unter dem Dach von Fairtrade International. Der Begriff „fair gehandelt“ ist nicht geschützt. Umso wichtiger zu wissen, dass hinter Fairtrade international gültige Standards stehen. Zusammen mit den Produzentennetzwerken aus Asien, Afrika und  Lateinamerika und den nationalen Fairtrade-Organisationen legt Fairtrade International diese Standards fest und überarbeitet sie regelmäßig. Die Einhaltung der Kriterien kontrolliert unabhängig unser Zertifizierer Flocert.

Heute gibt es mehr als 60 Fair-Handels-Importeure, die ein wachsendes Sortiment an Waren anbieten. Es gibt Fairtrade-Towns, -Schulen und -Universitäten ...

Claudia Brück: ... und Discounter entwickeln in beachtlicher Zahl fair gehandelte Produkte unter ihren Eigenmarken. Seit 2005 verzeichnet der faire Handel zweistellige Wachstumsraten. Allein wir in Deutschland arbeiten mit 406 Lizenzpartnern zusammen und hatten in diesem Jahr schon 19 Anfragen von Firmen, die mit uns arbeiten möchten. Für die Organisationen und Gemeinschaften, die mit uns zusammenarbeiten, bedeutet der faire Handel spürbare Veränderungen. Zuverlässige und höhere Preise und die Prämien helfen, Strukturen vor Ort zu verbessern. Über Verkäufe in den deutschen Markt haben Produzentenorganisationen 2018 Fairtrade-Prämien in Höhe von 29 Millionen Euro erwirtschaftet. Wir sehen große Erfolge. Wir sehen aber auch, dass der Markt extrem hart zurückschlägt.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Claudia Brück: Im letzten Jahr hat ein großer Discounter sein Angebot komplett auf fair gehandelte Bananen umgestellt. Vorher gab es auf dem deutschen Markt ausschließlich Fairtrade-Bananen, die zusätzlich biozertifiziert waren. Nun also die Umstellung des gesamten Sortiments auf Fairtrade. Sie wurden zu einem für unsere Begriffe unglaublich günstigen  Preis angeboten, 1,19 Euro das Kilo. Trotzdem folgte ein erbitterter Preiskrieg der Konkurrenz, die Bananen für 77 Cent anbot. Der Discounter verlor Kundschaft. Wie kann man Bananen für 77 Cent das Kilo anbieten? Wenn man zudem bedenkt, dass der Einzelhandel eigentlich nicht unter dem Einkaufspreis verkaufen darf, kann man sich blitzschnell ausrechnen, zu wessen Lasten ein solcher Preisdruck geht. Ausgerechnet Bananen, die so lange Wege hinter sich haben. Sie sind empfindlich und anfällig für Pilzbefall, können deshalb auch nur in wenigen Regionen der Erde biologisch angebaut werden. Für die Ernte alle zwei bis drei Wochen brauchen die Bäuer*innen bis zu sieben Hilfskräfte, weil alles schnell  verpackt werden muss.

Galten Bananen nicht als Symbol des Wirtschaftswunders? 1957 hat der ehemalige Bundeskanzler Konrad Adenauer die Banane zur „Hoffnung für viele und eine Notwendigkeit für uns alle“ erklärt und vor der Europäischen  Wirtschaftsgemeinschaft die zollfreie Einfuhr durchgesetzt.

Claudia Brück: Bananen gehören zu den sogenannten Eckprodukten im Handel, ebenso wie Kaffee, Milch und Butter. Die Preise für diese Produkte sind entscheidend dafür, in welchem Geschäft eingekauft wird. Wir möchten den Wettbewerb nicht komplett außer Kraft setzen, aber wir müssen Lobbyarbeit dafür machen, dass der Preisdruck nicht die ohnehin benachteiligten Produzentengruppen trifft. Diese Lobbyarbeit wird, neben der Förderung des fairen Handels und Bildungsarbeit ein zunehmend wichtiger Faktor unserer Arbeit. Der faire
Handel hat sich von Anfang an als Anwalt des globalen Südens verstanden.

Was ist Ihr Beitrag dazu? TransFair nennt sich „Verein zur Förderung des Fairen Handels in der Einen Welt“, Sie handeln oder importieren aber nicht selbst?

Claudia Brück: Nein, unsere Aufgabe ist es, das Fairtrade- Siegel für Produkte auf dem deutschen Markt zu vergeben, das Siegel und den fairen Handel in Öffentlichkeit, Politik und Wirtschaft in Deutschland bekannt zu machen. Wir arbeiten in den Gremien unseres Dachverbands mit, die die Standards für Kleinbauernbetriebe, Plantagen oder Unternehmen im globalen Süden entwickeln. Bei den Produkten fokussieren wir uns auf Lebensmittel, wie Kaffee, Kakao, Blumen oder Südfrüchte. Es gibt aber auch faire Textilien, Gold, Kosmetika – und Fußbälle.

Wie sieht die Entwicklung von Standards aus, wer entscheidet darüber, welche Standards Produzentenorganisationen erfüllen müssen, damit sie zertifiziert werden können?

Claudia Brück: Das Standard-Komitee ist zu gleichen Teilen mit Vertreter*innen aus Produzentennetzwerken, Handel und nationalen Fairtrade-Organisationen besetzt, zur Hälfte aus dem globalen Norden, zur Hälfte aus dem globalen Süden. Uns ist wichtig, auf Augenhöhe zu agieren. Die Zusammensetzung der Komitees führt durchaus zu heißen Diskussionen. Besonders Umweltthemen sind strittig. Für uns hierzulande ist fraglos, dass ohne strengen Umweltschutz der faire Handel keine Zukunft hat. Produzent*innen im globalen Süden sehen
das mitunter anders: Erst müssen wir auf den Markt, dann kümmern wir uns um die Umwelt. Die Standards beziehen sich auf Ebene der Produzent*innen auf demokratische  Organisationsformen, Entwicklungspotenzial, Arbeitsbedingungen, Sicherheit für die Arbeiter*innen, gute landwirtschaftliche Verfahren, Anpassung an Klimawandel, Verbot von Diskriminierung, um nur einige Punkte zu nennen. Auf Seiten des Handels auf Rückverfolgbarkeit, faire Beschaffung, Art der Verträge.

Wir überarbeiten die Standards regelmäßig. 2019 beispielsweise haben wir die Anforderungen für Kleinbäuer*innen überarbeitet. Die Frist für die Umsetzung verschiedener Umweltkriterien haben wir von sechs auf drei Jahre verkürzt.  Zeitliche Staffelungen von ein bis sechs Jahren berücksichtigen die Situation der Produzent*innen, denn nicht alle Bedingungen sind sofort erfüllbar und müssen sofort erfüllt werden.  Der vollständige Verzicht auf bestimmte Pestizide, die auf unserem Index stehen, gilt erst ab dem dritten Jahr, das Verbot von Zwangsarbeit sofort.** Der faire Handel macht es nötig und möglich, dass wir kontinuierlich im Gespräch sind. Das ist immens wichtig. Manchmal denke ich, wir kommunizieren vielleicht nicht gut genug, dass es um kontinuierliche Entwicklungsprozesse geht.

Ein Teil dieser Prozesse könnte ein gesetzlicher Rahmen, ein bundesdeutsches Lieferkettengesetz sein, das Achtung von Umweltschutz, Menschenrechten und Arbeitssicherheit für Unternehmen, die im globalen Süden produzieren lassen, verbindlich machen würde.

Claudia Brück: Ja. Auf der politischen Ebene unterstützen wir nachdrücklich die Kampagne für ein Lieferkettengesetz, das Unternehmen in die Verantwortung nimmt. Transparenz in Lieferketten beschäftigt uns aber auch auf der Ebene unserer eigenen Organisation. Wir arbeiten daran, die Rückverfolgung der von uns zertifizierten Produkte einfacher lückenlos zugänglich zu machen. Wir haben die Daten bereits, müssen sie aber noch digital aufbereiten. Die Verbraucher*innen wollen zu Recht wissen, was passiert, wenn sie dieses oder jenes Produkt kaufen und wie es in das Regal gekommen ist.

Zur Lieferkettentransparenz im weiteren Sinne gehört vielleicht auch, dass wir momentan Projekt-Partner vor Ort dabei unterstützen, Wege zu finden, konventionelle und Fairhandels-Rohware auch physisch getrennt voneinander zu verarbeiten und zu vermarkten. Dann können Verbraucher*innen Fairtrade-Produkte wie Schokolade kaufen, die nicht nur per Verträgen und Dokumenten rückverfolgbar sind, sondern physisch vom Schokoriegel bis zur Bohne. Weil das besonders bei kleineren Produktchargen für die Produzent*innen schwierig ist, hat Fairtrade International für Kakao, Rohrzucker, Fruchtsäfte und Tee einen sogenannten Mengenausgleich festgelegt. Er gewährleistet, dass die eingekaufte und verkaufte Menge an Fairtrade-Produkten in der gesamten Lieferkette sich entsprechen müssen.

All ihr Bemühen geht dahin, über den fairen Handel Produzent*innen im globalen Süden einen Zugang zum Markt zu verschaffen, Absatzmöglichkeiten zu fairen Bedingungen. Gleichzeitig gibt es hierzulande eine Bewegung, die empfiehlt, Produkte nur aus der Region zu beziehen.

Claudia Brück: Die aktuelle Tendenz zur Regionalisierung sehen wir aus unserer Perspektive kritisch. Mit einem Mal soll alles hier aus einem Umkreis von 50 Kilometern kommen und in Deutschland produziert sein? Das heißt, deutsche Autoteile dürfen in alle Welt exportiert werden, und alle Welt soll auf ihren Waren sitzenbleiben? Damit sind wir nicht einverstanden.

Und dann ist da immer wieder die Diskussion darum, was existenzsichernde Einkommen bedeuten, wie sie aussehen müssen und wie sie über den fairen Handel erreicht werden können.

Claudia Brück: Existenzsichernd heißt: Mehr als nur das Nötigste zum Überleben zu haben, sondern Zugang zu Lebensmitteln, Wasser, Unterkunft, Bildung, medizinischer Versorgung,  Transportmitteln, Kleidung, Rücklagen für unvorhersehbare Ereignisse. Stabile Preise sind ein Faktor, aber nicht der einzige, um existenzsichernde Einkommen zu erreichen: Denn einerseits wird leider viel zu selten die gesamte Ernte unter Fairtrade-Bedingungen verkauft, zum andern sind oft die Flächen und Produktionsmengen zu klein, als dass allein der Anbau
eines einzigen Exportrohstoffs das Einkommen einer Familie sichern kann. Diversifizierung der Einkommen, Selbstversorgung, lokale Märkte sind deshalb Faktoren, die wir fördern  müssen.

Das Problem von existenzsichernden Einkommen beziehungsweise Löhnen bei Arbeiter*innen ist angekommen, auch bei den Supermärkten. Die Unternehmen agieren allerdings, das  muss man klar sagen, nicht aus altruistischen oder entwicklungspolitischen Gründen. Es geht ihnen darum sicherzustellen, dass sie auch in zehn, zwanzig Jahren noch vernünftige Produkte geliefert bekommen. Ein Blick in den Kakaoanbau beispielsweise zeigt, dass dort die meisten Farmer*innen über 50 sind und es angesichts der Arbeitsbedingungen und geringen Verdienstmöglichkeiten kaum Nachwuchs gibt. Selbst große Konzerne sehen: Die Leute immer nur ausquetschen, bringt auf Dauer nichts. Wer gute Geschäfte machen will, braucht gute Produkte. Wer gute Lebensmittel haben will, braucht gute Produzent*innen. Darum muss und wird es einen Transformationsprozess geben.

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*Informationen zur Geschichte des fairen Handels in Deutschland unter www.forum-fairer-handel.de oder https://www.fairtrade.de/index.php/mID/1.4/lan/de#Geschichte_des_Fairen_Handels

**Ausführliche Erläuterung der Standards beispielsweise für Kleinbauern finden sich unter https://www.fairtrade-deutschland.de/fileadmin/DE/01_was_ist_fairtrade/
03_standards/fairtrade_standard_fuer_kleinbauernorganisationen.pdf

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