Was sind Förderkreise?

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Warum gibt es Förderkreise (FK)?

Die sieben deutschen Förderkreise setzen sich für weltweite Solidarität und soziale Gerechtigkeit ein. Sie leisten entwicklungspolitische Bildungsarbeit und bieten die Möglichkeit, sich ehrenamtlich zu engagieren.

Lokale Lösungen und Leguminosen

Lokale Lösungen und Leguminosen

DSC_2528.jpg21.04.2020

Die Landwirtschaft leidet unter den Folgen des Klimawandels und ist gleichzeitig Mitverursacherin. Weltweit kommen laut Weltklimarat 31 Prozent der Klimagasemissionen aus Landwirtschaft und veränderter Landnutzung. Wie gehen die Bäuer*innen damit um? Welche Unterstützung brauchen sie, um klimafreundlich Nahrungsmittel zu produzieren? Was können sie selbst für Umwelt und Klima tun – in Ruanda und am Niederrhein, über 6.000 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt? Darüber und über anderes mehr sind Jean-Marie Irakabaho und Andreas Mesch ins Gespräch gekommen.

Text: Marion Wedegärtner, Fotos: Julia Krojer

Jean-Marie Irakabaho würde Andreas Mesch gerne ins ruandische Fernsehen holen. „Ich hatte eine falsche Vorstellung“, sagt er. „Ich bin davon ausgegangen, dass hier in Deutschland der Einsatz von Chemie vorbehaltlos gefeiert wird.“ Mesch soll vor laufenden Kameras wiederholen, was er beim Gang durch den Gutsbetrieb Kalbeck in Weeze sagt: „In Deutschland fahren wir den Einsatz chemischer Mittel zurück, langsam zwar, aber immerhin. Macht nicht die Fehler, die wir gemacht haben.“ Für Irakabaho ist die Macht der multinationalen Chemiekonzerne das größte Problem für eine nachhaltige Landwirtschaft in Ruanda. „Bei uns in Ruanda ist die gängige Auffassung,  ohne Chemie könne man die Bevölkerung nicht ernähren.“ Mit diesem Argument werde jeder Ansatz, umweltbewusst zu produzieren, abgetan. „Wenn ich mit Politiker* innen spreche, sagen die: Wo sind die Beweise, dass es geht?“, ergänzt er. „Das Problem ist aber, dass wir kaum Mittel und Möglichkeiten haben, diese Beweise zu erbringen. 95 Prozent der Forschung werden von US-Chemiekonzernen finanziert, die behaupten, nur mit ihrem importierten Saatgut und Dünger sei die Bevölkerung dauerhaft zu ernähren.“

Der Agrarökonom Jean-Marie Irakabaho arbeitet als Landwirtschaftsberater unter anderem für Oikocredit und die Zertifizierungsorganisation Rainforest Alliance in Ruanda. Er ist auf den nachhaltigen Anbau von Tee und Kaffee spezialisiert. Im Februar war er im Vorfeld der Biofach-Messe in Deutschland, um Kontakte für die Vermarktung von Bio-Tee des Oikocreditpartners „Karongi Tea“ zu knüpfen. Angela und Andreas Mesch sind Anleger*innen bei Oikocredit. Als Leiter des Gutsbetriebs Kalbeck bewirtschaftet Andreas Mesch rund 350 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche. Aus der Idee, den mehrtägigen Besuch Irakabahos im Westdeutschen Förderkreis für einen kollegialen Austausch zu nutzen, wurde eine freundschaftliche Landpartie unter grauem Himmel – inklusive Kartoffelsuppe aus „Erdfrüchten“ Marke Eigenanbau und selbstgebackenen Emmer-Dinkel-Brötchen, Hofbesichtigung und Gesprächen am Küchentisch.

So wenig Chemie wie möglich einsetzen

Für Jean-Marie Irakabaho ist der Gutsbetrieb weit entfernt von seinem eigenen Arbeitsalltag in Ruanda. Die 4.000 Tonnen Weizen, die im Auftrag benachbarter Höfe in einer großen Scheune lagern, und das riesige Lager mit Kartoffeln aus eigener Ernte über der Werkstatt haben beeindruckende Ausmaße. Die Bäuer*innen, mit denen Irakabaho zusammenarbeitet, bewirtschaften durchschnittlich höchstens einen Hektar Land, erzählt er. Und setzt, beim Blick auf den modernen Maschinenpark in der Werkstatt und auf dem Gelände nach: „Alles wird bei uns mit den Händen gemacht, die Landwirtschaft ist nicht mechanisiert, das ginge auch gar nicht in den Hügeln im Westen Ruandas, Traktoren und Maschinen kämen dort gar nicht voran.“ „Wir sind allerdings auch kein typischer Bauernhof“, sagt Mesch. Das seien eher kleine Familienbetriebe mit Tieren und Ackerbau, reine Viehzuchtbetriebe oder, vor allem im Osten Deutschlands, als Aktiengesellschaften organisierte Landwirtschaftsbetriebe, in der Regel ohne Tierhaltung. Kalbeck ist kein Bio-Betrieb, aber Mesch ist kritisch gegenüber der Agrarindustrie und Konzernen, die illegale Preisabsprachen treffen und durch überhöhte Preise für Saatgut, Dünger und Landmaschinen Landwirte unter Druck setzen. „Wir bauen nicht ökologisch an“, sagt er, „aber wir versuchen, so wenig Chemie wie  möglich einzusetzen. Wir arbeiten mit dem geringstmöglichen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln“.

Stickstoff sammeln in Weeze und Ruanda

Das Gut baut hauptsächlich Kartoffeln, Möhren, Erbsen, Buschbohnen, Blumenkohl, Dinkel, Weizen, Raps, Mais, Ackergras und Zuckerrüben an, all das im Rotationsprinzip. Mesch kann flexibel auf die Nachfrage reagieren und schnell produzieren. „Wenn ein Feld frei ist, können wir überlegen und entscheiden, was wir darauf sinnvollerweise anbauen. Wenn ich Saatgut bestellen will, genügt ein Anruf und alles ist da.“ Ackergras wird jedes Jahr neu angebaut, das Grünland bleibt „für immer“. Man versuche, nur so viel zu düngen, wie dem Boden entzogen wird und vorwiegend auf natürliche Düngung zurückzugreifen. Der Anbau von Bohnen sei übrigens eine politische Entscheidung, erläutert Andreas Mesch. „Wer mehr als fünf Fruchtsorten anbaut, bekommt Geld von der EU. Bohnen gehören zu den Leguminosen, sie sammeln Stickstoff im Boden, wirken als natürliche Verbesserung der Bodenqualität.“

Beim Stichwort „Leguminosen“ hakt Irakabaho nach. Als Landwirtschaftsberater ermuntere er auch in Ruanda die Bäuer*innen, mit denen er beispielsweise für die Teefabrik Karongi zusammenarbeite,  Leguminosen in die Fruchtfolge einzubauen. Die Samen der Hülsenfrüchtler wie Linsen, Bohnen, Sojabohnen, Erbsen, Klee, Lupinen oder Akazien enthalten relativ große Mengen an Proteinen, Stärke und Fettsäuren; in den Wurzelknöllchen befinden sich Bakterien, die Luftstickstoff im Boden binden und für künftige Anbaupflanzen verwertbar machen – eine gute Alternative zu künstlichem Stickstoffdünger.

Kleinbäuerliche Struktur nachhaltig fördern

Wenn man’s bedenke, sei die Region ein Landwirtschaftsparadies, sagt Andreas Mesch. Das bevölkerungsreiche Ruhrgebiet nebenan ist ein sicherer Absatzmarkt. Die Dächer der Gebäude sind mit Photovoltaikanlagen ausgestattet, zwischen den Feldern stehen Windräder, die mehr Strom produzieren, als der landwirtschaftliche Betrieb benötigt. Es gibt Finanzierungen und Versicherungen. Die Infrastruktur ist gut. Weeze am Niederrhein kennen heute vor allem Reisende, die billig nach Tallin, Hugharda oder Fuerto Ventura reisen wollen. Der Flugplatz ist ein sogenannter Konversionsflughafen. Während des Kalten Krieges war der britische Militärflughafen der modernste Flugplatz Europas, schaffte Arbeitsplätze, ließ neue Wohngebiete entstehen, prägte die Region. „Die Errungenschaften von Industrie und industrieller Produktion waren für mich immer selbstverständlich, fraglos. So bin ich groß geworden“, sagt Andreas Mesch. Zweifellos könne man so gesunde Nahrungsmittel in großer Menge produzieren. „Bei uns sind aber nur noch etwa zwei Prozent der Bevölkerung Landwirte. In Ländern, in denen große Teile der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig sind, ist dieser industrielle Weg nicht empfehlenswert.“ Dort könnte besser die kleinbäuerliche Struktur nachhaltig gefördert und weiterentwickelt werden, die ursprüngliche Landwirtschaft mit vielen individuellen Betrieben bliebe erhalten. Dass das geht, zeigten Projekte und Kooperationen wie die, die Jean-Marie Irakabaho betreut.

„Bauern brauchen gutes Klima“

Am Fenster in der Werkzeughalle lehnt ein handgeschriebenes Plakat: „Bauern brauchen gutes Klima“. Er sei stolz, sagt der Landwirt, dass seine Kinder sich für Klimaschutz und bei „Fridays for Future“ engagieren. Es gibt die Bewegung inzwischen auch in afrikanischen Ländern. Auch wenn der Kontinent, mit Ausnahme Südafrikas, dem größten Produzenten von Treibhausgasen in Afrika und einer der 15 größten Produzenten weltweit, nur sieben Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verursacht, wollen junge Menschen auch dort ihre Regierungen unter Druck setzen. „Demonstrieren kostet Zeit und Geld, das ist schwierig bei uns“, sagt Jean-Marie Irakabaho. Für das Klima auf die Straße zu gehen sei für ihn ungewohnt, ebenso wie Lebensmittelverschwendung in Deutschland als Problem und eine „No Waste“-Bewegung als Lösung.

Mit Schuldzuweisungen an den globalen Norden als Hauptverursacher der Klimaveränderung halte man sich in seinem Arbeitsumfeld nicht auf. „Die Menschen sind damit beschäftigt, ihr eigenes Leben zu verbessern“, sagt Irakabaho. „Wir sehen den Klimawandel als ein globales Problem, aber wir müssen lokal handeln und Lösungen finden.“ Seit etwa zehn Jahren beobachtet Irakabaho Veränderungen durch den Klimawandel in der Landwirtschaft. „Dürre und Regenzeiten sind nicht mehr zuverlässig, es gibt lange Dürreperioden, mehr und heftigere Starkregen und Erdrutsche in den hügeligen Regionen.“ Als Vertreter von Oikocredit in Ruanda und landwirtschaftlicher Berater setze er sich für nachhaltige Produktion ein, versuche, auf das Verhalten der Bäuer*innen im Umgang mit der Natur einzuwirken, ihr Bewusstsein zu sensibilisieren, zu vermitteln, dass sie umweltschonender kochen sollen und die Wälder nicht abholzen. Das Abbrennen der Wälder ist in Ruanda inzwischen per Gesetz verboten. „Kleinbäuer*innen brauchen Unterstützung, um nachhaltig und umweltschonend produzieren zu können“, sagt Irakabaho, „sie brauchen Zugang zu Finanzierungen, Marktzugang, eine angepasste Saatgutproduktion, Schulungen, Beratung und Unterstützung bei Zertifizierungen“.

Ernährungssicherheit sei nicht nur eine Frage der Masse, sagt Irakabaho. „Es geht doch darum, qualitativ gute Lebensmittel so zu produzieren, dass das auch zukünftig noch möglich ist.“

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