Was sind Förderkreise?

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Warum gibt es Förderkreise (FK)?

Die sieben deutschen Förderkreise setzen sich für weltweite Solidarität und soziale Gerechtigkeit ein. Sie leisten entwicklungspolitische Bildungsarbeit und bieten die Möglichkeit, sich ehrenamtlich zu engagieren.

Solidarität (neu) lernen

Solidarität (neu) lernen

WFK_4_6_2014_kl.jpg06. Juni 2014

Jubiläumsempfang im Gobelinsaal des Bonner Rathauses

Lernziel Solidarität. Das gleichnamige Buch des Psychoanalytikers und Sozialphilosophen Horst Eberhard Richter erschien 1974, ein Jahr, bevor Oikocredit gegründet wurde. Es erreichte hohe Auflagen, kursierte als Raubdruck, wurde in viele Sprachen übersetzt und schien Indikator einer kollektiven gesellschaftlichen Wandlung. Die blieb seinerzeit auf der Strecke. Richter blieb Optimist. Er war auch Jahrzehnte später davon überzeugt, dass ein Stadium weitschauenden sozial verantwortlichen Denkens und Handelns erreichbar sei. Nur: Wie geht das? Wie entsteht neues Bewusstsein? Wie lassen sich Denk- und Lebensgewohnheiten verlernen und neue erlernen?

Dieser Frage ging der Westdeutsche Förderkreis nach, der sich als Teil einer sozialen Bewegung versteht, die in Zeit und Geist mit dem Lernziel Solidarität eng verbunden ist. Anlass war sein 35-jähriges Bestehen. Gemeinsam mit der Stadt Bonn lud der Förderkreis zum Jubiläumsempfang ins Alte Rathaus. Gastreferent war Gerhard de Haan, Professor für Bildungs- und Zukunftsforschung an der Freien Universität Berlin. Er ist hierzulande verantwortlich für die Umsetzung der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, die in diesem Jahr zu Ende geht. Antrieb und Ziel: „Auf lange Sicht dürfen wir nicht auf Kosten der Menschen in anderen Regionen der Erde und auf Kosten zukünftiger Generationen leben“.

„Der Kern der nachhaltigen Entwicklung: Solidarität“ war de Haans Thema. Die schlechte Nachricht in Kürze: Solidarität muss gelernt werden. Lernen, Veränderung von Einstellungen und Handlungen ist ein langwieriger Prozess. Die gute Nachricht: Es ist möglich.

Buen vivir für alle Menschen

Wo früher vom goldberankten Aufgang zum Rathaus aus dem gemeinen Volk gewunken wurde, werden heute Trägerinnen und Träger des Alternativen Nobelpreises aus aller Welt hofiert. Gemeinsamer Leitgedanke gegenwärtiger Aktivitäten, wie sie u.a. das von der Stadt Bonn initiierte Netzwerk Entwicklung vorantreibt, sei das „Buen vivir“, das gute Leben für alle, menschenwürdig und sozial gerecht, sagte Bürgermeisterin Angelica Maria Kappel in ihrer Begrüßung.

Nur: „Von welcher Gerechtigkeit reden wir, wenn wir von Gerechtigkeit sprechen? Verteilungsgerechtigkeit? Leistungsgerechtigkeit? Besitzstandsgerechtigkeit?“, so Gerhard de Haan in seinem anschließenden Vortrag. Und: „Gerechtigkeit muss man wollen.“ Eigentlich muss man sie wollen. Schließlich gehe es um die Sicherung der menschlichen Existenz. Und die ist nicht gewährleistet, wenn alles bleibt, wie es ist. Schon gar nicht weltweit. Schon gar nicht für kommende Generationen. Nachhaltige Entwicklung bedeutet, nach dem sogenannten Drei-Säulen-Modell, gleichzeitig und gleichberechtigt umweltbezogenen, wirtschaftlichen und sozialen Zielen zu dienen.

Shrimps auf Reisfeldern?

Folglich geht es ums Wissen, ums Wollen und ums Können. In allen Fällen kommt die Solidarität ins Spiel. Solidarität bezieht sich herkömmlich auf Menschen in gleicher oder ähnlicher Lage. Es komme also darauf an, so de Haan, „das Wir und das Uns zu erweitern“. Damit nicht genug: nicht nur ans Jetzt zu denken, sondern auch die Zukunft mitzubedenken. Die schwierigste aller anzuwendenden Formeln sei „Jetzt für Dann für Andere“: Jetzt so zu handeln, dass Menschen, die unter Umständen weit entfernt leben werden und noch nicht einmal geboren sind, die Chance auf ein gutes Leben haben.

De Haan erläutert am Beispiel Bangladesh: Der Anstieg des Meeresspiegels versalzt die Reisfelder. Steigt der Meeresspiegel wie prognostiziert bis zum Ende des 21. Jahrhunderts um einen Meter, wird die Hälfte der Ackerflächen zerstört. Wen kümmert das hierzulande? Wir profitieren ja sogar davon. Die Flächen eignen sich zum Anbau von Luxusgütern. Es gibt Shrimps zu Dumpingpreisen in deutschen Discountern.

Altruismus wird ausgetrieben

Dabei: Die Bereitschaft, sich für andere ohne die Aussicht auf Lohn einzusetzen, sei durchaus vorhanden, so de Haan. Das zeigten jüngste Studien besonders des Verhaltens von Kleinkindern. Aber: „Von Kindesbeinen an wird Altruismus verlernt, er wird ausgetrieben. Unsere Gesellschaft konditioniert emotional auf Egoismus. Sozialisierung ist auf den eigenen Vorteil ausgerichtet.“ Auch die Schaffung von Gleichheit im Bildungsbereich ziele in erster Linie auf Vergleichbarkeit und damit auf Konkurrenz.

Vielleicht gehe es darum, Solidarität wieder neu zu lernen. Und wie? „Anordnen geht gar nicht.“ Appelle an die Einsicht hätten erfahrungsgemäß wenig Wirkung. Wer versucht, über Logik und Verstand sich für Handeln im Sinn von Solidarität zu entscheiden, gerät, je komplexer die Sachverhalte sind, ins Trudeln, am Ende unter Umständen in die sogenannte informatorische Warteschleife und handelt wie immer schon. Gewohnheit, Automatismen, Routine, vergangene Erfahrungen sind neben widersprüchlichen Wünschen und Interessen die natürlichen Feinde der Veränderung. In der Wahrnehmung übrigens, so de Haan, sei manches sehr viel weiter als in der nachprüfbaren Wirklichkeit: 30 – 40 Prozent der Bevölkerung gäben in Befragungen an, sie kauften nachhaltig und fair ein. In Wirklichkeit seien es 2,5 Prozent – bei Kaffee, dem meistgekauften Produkt mit Fairtrade Siegel.

Gefühle und Gemeinschaft

„Solidarität muss emotional verankert sein.“ Gute Freunde, glückliche Beziehungen rangierten auf der Liste dessen, was im Leben zählt, weit oben. Auch wenn die dazugehörige Statistik Ergebnis einer Befragung ausschließlich von Frauen gewesen sei: „Daran muss man anknüpfen. Gefühle sind wichtig“, sagt der Zukunftsforscher. Studien in England hätten ergeben, dass Geldgeschenke, erst 5 Pfund, dann 100, am meisten diejenigen glücklich gemacht hätten, die sie weiterschenkten. Und Experimente in den USA zur Veränderung des Energieverbrauchs hätten als wirkungsvollstes Argument gezeigt: „Ihr Nachbar macht das schon“.

Gemeinsamkeit ist ein wesentlicher Faktor, so de Haan. Sich gemeinsam für etwas einsetzen, Netzwerke bilden, genossenschaftlich handeln, darin liege die größte Kraft. „Die Genossenschaftsidee selbst ist gut und nachhaltig. Genossenschaften haben alle Krisen bis jetzt am besten überlebt.“ Das können schon junge Leute. Zunehmend gründeten sich Schülergenossenschaften, auch, weil deutlich sei, dass andere Formen des Lernens und der Schule erforderlich seien. Alles, was mit Lernen zu tun hat, erfordert lange Prozesse. De Haan: „Es ist schwer für uns, uns zu ändern. Bis eine Idee in den Köpfen ankommt und Verhaltensänderungen bewirkt, braucht es 30 Jahre.“

Da hatte es Ulrike Chini, Geschäftsführerin des Westdeutschen Förderkreises, beim Schlusswort leicht. Die 30-Jahre-Grenze ist erfolgreich überschritten, Oikocredit arbeitet explizit nach den drei Säulen und: „Wo’s ums Geld geht, ist sowieso jede Menge Gefühl im Spiel.“ Ueli Burkhalter vom Vorstand von Oikocredit Deutsche Schweiz knüpfte in seinem Grußwort an: Er begreife Oikocredit als eine Art Labor, das aufgrund der internationalen Zusammensetzung, Zusammenarbeit und Ziele gute Möglichkeiten biete, Solidarität zu lernen.

Marion Wedegärtner, Oikocredit Westdeutscher Förderkreis

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